Projektidee

 Wer im Glashaus sitzt …

 

... sitzt heute im Trockenen und morgen – vielleicht – inmitten von Scherben.

... kann alles sehen, was da draußen ist, und wird von allen gesehen – auch in der Nacht.

... kratzt an Scheiben, Verse zum Beispiel, wenn Papier gerade rar ist – oder das Leben es fordert.

 

Annette von Droste-Hülshoff ist den meisten nur als adliges Stiftsfräulein mit Hang zur fein-sinnigen Poesie bekannt. Als biedermeierliches Stück unserer heimisch-regionalen Schriftkultur wurde sie über viele Generationen konserviert.

 

Erst seit einigen Jahren rückt auch ihre Modernität in den Fokus, werden ihre Texte neu interpretiert und mit Blick auf heutige gesellschaftliche und individuelle Herausforderungen weitergedacht – so auch im Rahmen dieser Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe, in der 21 Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen bekannte und weniger bekannte Droste-Räume und Motive medial transformieren.

 

Das Projekt will den Fragen nachspüren, die auch Annette von Droste-Hülshoff umgetrieben haben: Wie gehen wir um mit dem Anderen, das uns von außen zu bedrohen scheint – und mit dem, das uns selbst innewohnt? Wie fragil ist das Haus, das wir Heimat nennen? Wer darf Grenzen überschreiten – im Flug, am Boden oder zu Wasser? Wer verbrennt sich die Flügel, verliert den Boden unter den Füßen oder versinkt in den Fluten? Was sind das überhaupt für Grenzen, die für die einen durchlässig und für die anderen wie Wände aus Stahl und Beton sind? Wie kann man Räume und (vermeintlich) Festgefügtes neu gestalten, transformieren, öffnen in alle Richtungen – ohne dass alles zerbricht oder konturlos wird? Wie lässt sich eine Ordnung überwinden, die auf (struktureller) Gewalt basiert, und ein anderes Spiel eröffnen, bei dem niemand auf der Strecke bleibt, weil mit dem falschen Geschlecht, Glauben, Pass geboren?

Prof. Dr. Rita Morrien

 

"Und das Herz, dies kleine Klümpchen Erde

Hat doch für die ganze Schöpfung Raum!"

 Annette von Droste Hülshoff

Entstehung

Im Jahr 2017 entstand die Idee zu einem Experiment: Der Münsteraner Bildhauer Christoph Otto Hetzel und die Paderborner Professorin für Germanistische Literaturwissenschaft Rita Morrien begegneten sich in ihrem gemeinsamen Interesse an der wichtigsten deutschsprachigen Dichterin des 19. Jahrhunderts und entwarfen den Plan, Annette von Droste-Hülshoff in einem intermedialen Projekt auf ihre Aktualität hin zu befragen und mittels eines KünstlerInnen-Projekts tradierte Sichtweisen aufzubrechen. Zum Konzept gehörte es, das ‚westfälisch-katholische Adelsfräulein‘ eben nicht an den altbekannten Orten und aus den gewohnten Perspektiven zu zeigen, sondern an besondere neue Orte zu bringen und Aspekte ihrer Modernität herauszuarbeiten.

 

Mit Schloss Senden als einem im Aufbau befindlichen Bildungs- und Kulturort fand sich ein starker Projektpartner als Ankerpunkt. Dr. Martina Fleßner, verantwortlich für die Entwicklung des außergewöhnlichen Kulturerbes, übernahm mit Christoph Otto Hetzel die Leitung des Projekts, das den Titel „Mit Droste im Glashaus. 21 Künstlerinnen und Künstler werfen Blicke“ bekam. Das breit angelegte Projekt passte sehr gut zu dem langfristigen Ziel, auf Schloss Senden einen Ort interdisziplinären Zusammenwirkens von Kunst und Kultur, Wissenschaft und Handwerk zu schaffen.

 

Als dann 2018 der Literaturwissenschaftler Dr. Jochen Grywatsch, Leiter der Droste-Forschungsstelle bei der LWL-Literaturkommission für Westfalen, als fachlicher Berater Teil des Projektteams wurde und Claudia Ehlert die Projektassistenz übernahm, war das „Glashaus“-Team komplett.

 

Was bisher theoretische Überlegung war, nahm mit diesem interdisziplinären Team, das sich durch unterschiedliche Perspektiven gegenseitig bereicherte, herausforderte und beflügelte, Gestalt an: Kunst trifft Wissenschaft – so lässt sich die Grundidee des Projekts auf den Punkt bringen. Das Fundament für eine intermediale Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe, die sich zwischen Literatur, Musik, Theater, Tanz, Performance, bildender Kunst und Kulturvermittlung bewegt und dabei stets Leben und Werk Annette von Droste-Hülshoffs im Fokus hat, war gelegt und der rote Faden gesponnen.